Vorbilder. Oft sind das erfolgreiche Menschen, die wir aus den Medien kennen und denen vor allem junge Menschen nacheifern sollen: Spitzensportler, Schauspieler, Musiker oder auch Unternehmer. Doch die Idee eines leuchtenden Vorbilds, das gleichermaßen als Inspiration wie Orientierungshilfe dient, bleibt in dieser Form oft abstrakt und unkonkret. Sehr viel greifbarer und praktischer wird sie im Mentoring-Programm „Als Frau in Führung gehen“, das die Hochschule Niederrhein gemeinsam mit der Unternehmerschaft Niederrhein und den Leading Ladies in Town ins Leben gerufen hat. Zehn viel versprechenden Absolventinnen des Studiengangs „Wirtschaftsingenieurwesen“ wird jeweils eine Mentorin oder ein Mentor aus der Wirtschaft am linken Niederrhein zur Seite gestellt, um sie bei der Persönlichkeits- und Profilbildung sowie beim Netzwerkaufbau zu unterstützen. Doch das Programm hat eine weitaus größere gesellschaftspolitische Bedeutung als nur die Talentförderung.
„Wir möchten dazu beitragen, unsere Gesellschaft zu einem gemeinsamen Optimum zu führen“, formuliert es Prof. Ralf Kampker aus dem Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen ambitioniert. „Ich habe in meiner eigenen beruflichen Laufbahn festgestellt, dass Teams mit einem ausgewogenen Verhältnis aus weiblichen und männlichen Mitarbeitern weitaus besser und effizienter zusammenarbeiten. Leider sind Frauen aber gerade in naturwissenschaftlich-technischen Berufen immer noch stark unterrepräsentiert. Und in Krefeld wird der bundesweit niedrige Frauenanteil sogar noch unterboten.“ Die Kausalkette ist einfach: Wenige Studentinnen in MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) führen zu wenigen weiblichen Arbeits- und somit auch Führungskräften in diesem Bereich. Und dieser Mangel an weiblichen Vorbildern festigt wiederum die niedrigen Studentinnenzahlen. „Wir sind der Meinung, dass da ein großes Potenzial für den Wirtschaftsstandort Krefeld schlummert, das wir gern heben möchten“, bekräftigt Kirsten Wittke-Lemm, Hauptgeschäftsführerin der Unternehmerschaft Niederrhein in Krefeld. Gemeinsam mit Projektleiterin Dr. Inge Röhnelt hob man ein Mentoring-Programm aus der Taufe, das zehn ausgewählte Studentinnen – Mentees – mit zehn Mentoren und Mentorinnen aus der Wirtschaft am linken Niederrhein in „Tandems“ zusammenschließt. „Die Mentees haben die Möglichkeit, sich mit ihren Mentoren auszutauschen, ihnen Fragen zu stellen, Einblick in ihre Tätigkeit zu erhalten und natürlich wertvolle Branchenkontakte zu knüpfen. Es geht also nicht darum, Fachwissen zu sammeln, sondern vor allem das eigene Profil zu schärfen und zu erfahren, was es braucht, um Führungsverantwortung zu übernehmen“, so Röhnelt. Am Ende steht demnach auch keine Prüfung, vielmehr sollen die Mentees Antworten auf ihre im Vorfeld gestellten Leitfragen formulieren. Neben den Treffen der Tandems, für deren Organisation die Mentees selbst verantwortlich sind, gehören auch verschiedene Veranstaltungen und Workshops zum Mentoring-Programm, etwa zur Stimmschulung und Körpersprache. „Was die Mentees für sich aus dem Programm herausholen, hängt ganz wesentlich von ihrer eigenen Initiative ab. Wir möchten gar nicht so viel vorgeben, weil Eigenitiative, -verantwortung und Motivation ja auch wesentliche Führungskompetenzen sind. Bisher ist das Feed-back, das wir sowohl von den Mentees als auch von den Mentoren bekommen haben, sehr gut!“, freut sich Wittke-Lemm.
Die Mentoren wurden wie auch die Studentinnen handverlesen, wobei es an interessierten Teilnehmern nicht mangelte. „Das Mentoring-Programm ist zwar keine Personalvermittlung“, stellt Kampker fest, „aber natürlich ist die Gelegenheit für Unternehmen, frühzeitig mit hochqualifizierten, engagierten und ambitionierten Kandidatinnen zusammenzukommen, ausgesprochen attraktiv.“ Stichwort Fachkräftemangel: Zu warten, dass Bewerbungen auf den Schreibtisch flattern, wie das früher üblich war, reicht heute längst nicht mehr aus. Unternehmen müssen sich im Kampf um Fachkräfte selbst mit ihren Stärken ins Schaufenster stellen und frühzeitig Präsenz am Stellenmarkt zeigen. Und zu wissen, was weibliche Fach- und Führungskräfte von morgen beschäftigt, kann im Wettbewerb ein erheblicher Vorteil sein. Die aktuellen Mentoren kommen unter anderem von Unternehmen wie Pierburg, Baumer, Siempelkamp, Bayer, Kohlschein, Venator und Solenis. Kein Wunder, dass es bereits jetzt eine Warteliste gibt.
Die Laufzeit des Mentoring-Programms ist jeweils auf ein Jahr festgelegt, wobei die ersten Monate für die Auswahl der Kandidatinnen und Mentoren sowie Zusammenstellung der Tandems verwendet werden. „Wir legen großen Wert darauf, dass Mentees und Mentoren auch auf persönlicher Ebene gut zusammenpassen, deshalb gehen wir im Auswahlprozess sehr sorgfältig vor. Ich denke, der bisherige Erfolg gibt uns Recht!“ so Röhnelt. Man darf sehr gespannt sein, welche Resultate sich mittelfristig zeigen werden. Es wäre doch zu schön, wenn der ehrgeizige Plan aufginge und Krefeld mit einer steigenden Zahl weiblicher Führungskräfte positiv von sich reden machte.
Hört man den drei Köpfen hinter dem Mentoring-Programm aufmerksam zu und beobachtet den sichtbaren Enthusiasmus, den sie für ihr Projekt entwickeln, gewinnt man den Eindruck, dass nicht nur bei den Mentees neue Energien und Ideen freigesetzt werden: „Wir denken schon über eine Ausweitung des Programms auf andere Bereiche nach“, so Wittke-Lemm. „Aber selbstverständlich müssen immer die Qualität des Programms und die Individualität der Betreuung sichergestellt werden.“ Und die Idee der Vorbilder hat dann tatsächlich nichts mehr mit dem Anhimmeln von unerreichbaren Idolen zu tun, sondern wird im Mentoring-Programm zu einer Sache des persönlichen Austauschs auf Augenhöhe.
Unternehmen, die interessiert sind, am Mentoring-Programm teilzunehmen, melden sich bei Sandra Basenau von der Unternehmerschaft Niederrhein unter: s.basenau@un-agv.de
Fotos: Felix Burandt